Drei Welten
Von Urte Skaliks
Nach dem Interview des weltberühmten Bassbaritons im Theater gibt es einen Empfang in der weiß-eleganten SkyLobby auf Kosten der einladenden Sparkasse, kleinen Imbiss, Sekt und was dazugehört. Viele Tische sind sofort von festen Gruppen besetzt, leere werden von neu eintreffenden Gästen angepeilt und schnell in Besitz genommen, die andere, noch flanierende Gäste sofort abweisend mustern.
Zwei weißhaarige Damen kommen über die berühmte, hoch sich schraubende Treppe hinzu, sehen sich um. Menschengewoge. Lauter hohe Barhocker an sehr hohen viereckigen Sechsertischen. An einem wandnahen Tisch nur drei Menschen, da müsste es gehen. Auf der linken Seite ein elegantes hochgewachsenes Paar, alteingesessene Solidität, schon im Gespräch, freundlich gleichgültig. Gegenüber eine einzelne blinkende Dame, hinter ihrer Schickeria-Tasche eingemauert, erstaunliche Riesenfrisur, ach, hat man sowas wieder? Glitzerketten, Ringe, Krallenhände, auf jung.
Da ist wohl noch ein Plätzchen, sich dazuzustellen? Aber dieser Platz ist schon besetzt, zeigt auf den hinteren an der Längsseite mit noch so einer glänzenden Makro-Krokotasche. Es stehen schon drei gefüllte Weingläser da, rot und weiß. Aber da hole ich uns doch eben die Wassergläser aus der Mitte, sehr weit aus der Mitte, nur durch weites Hoch- und Hinübergreifen über den Stuhl hinter der reservierten Dame von hinten her zu erreichen, indezent nah an ihr vorbei und weit nach vorn, und noch dazu gleich zweimal. Und nun auch noch die volle Wasserflasche.
Die nervöse Dame droht vor Ärger zu bersten. Schon drängelt sich hastig, missbilligend, die fehlende Dame mit noch einem Weinglas durch, eng am Nachbartisch vorbei hin zu ihrer üppigen Tasche. Grelles Flattertuch, Flatterhaare, leuchtende Krallen, dicke Kosmetik, schwere Wimpern, Mauer im Gesicht. Schiebt die guten Schnittchen fast außer Reichweite nach hinten, postiert ihre Tasche davor.
Das ältere gepflegte Paar links, entspannt, ganz für sich, unterhält sich ruhig, schweigt zuweilen, ist eine Insel. Aber man könnte sich eine Unterhaltung mit beiden gut vorstellen, sympathisch. Sie waren wohl vorhin beim Interview mit dem klugen Weltstar die idealen Zuhörer. Der übrigens meinte, aber ja, er werde gern wiederkommen, in einer seiner anderen Rollen, aber er sei sich nicht sicher, ob das Theater ihn sich wohl leisten könne. Die zuletzt eingetroffenen Weißhaarigen sprechen über das Gehörte, über Bekannte, Berufliches, Reisen, greifen dann doch weit nach hinten über den Tisch, essen Schnittchen mit Genuss. Die Bedienung schwirrt um alle herum, redet locker mit dem freundlichen seriösen Paar.
Die mit den klirrenden Krokotaschen, tief enttäuscht von bloß noch zwei älteren Damen an ihrem Tisch, blicken eifrig suchend, hoffnungsvoll, um sich herum. Nichts. Sie drehen, wie auf einen Ruf hin, ihre Köpfe nach rechts, nach links, strahlen erwartungsvoll ohne Ziel in den weiten Raum. Aber zuckt es nicht ein wenig, ganz schnell, in der linken Ecke dieser Lippe? Das kennst du so gut. Und schon wieder verborgen, das innere Weinen, die Maske davor. Heute das Glück wieder nicht gefunden, arme bunte Dame. Die eine der beiden Alten hat eben das Imprimatur zum neuen Buch an ihren Verlag geschickt. Und nichts zu suchen, das war ihr Sinn. Und kann es schon wieder nicht lassen, an eine Satire zu denken.
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Die beiden Schränke
von Urte Skaliks
Da standen einmal zwei Schränke. Der verschlossene Schrank war voller kostbarer bunter Kleider, und der nicht verschlossene Schrank stand voller staubfarbener Kleider.
Der hellgrüne glänzende Blouson mit dem silberblauen Emblem, Krönchen über einem Wappen, so weit und den betastenden Fingern schmeichelnd, leicht gerafft am Handgelenk und in der Taille, zu gar nichts anderem passend, aber so wunderschön, nur zum Ansehen und Anfühlen.
Die Langjacke in Anthrazit, locker gestrickt, ein bisschen aus der Form, warm am Rücken, gemütlich, für die Katze über den Sessel gelegt in kalten Winternächten.
Die Frau der Schränke fand immer von neuem, dass sie nichts anzuziehen habe, und kaufte immer neue Kleider, kostbar-farbige wunderschöne und zur Freude der Katze staubfarbene warme praktische Kleidung.
Die ausgebeulten alten Blue Jeans, auch in grau, dunkelbeige, taupe, schwarz, unempfindlich, erst nach vielen Jahren richtig eingewohnt, leicht zu waschen und müssen nicht mal gebügelt werden. In die warmen Röhren der Beine kriecht nach dem Ausziehen gern die Katze.
Die hellblaue weite Seidenbluse mit grandioser Applikation, von dunklen Pailletten umrahmt: Möwen über einem Segelschiff, mit Perlenfisch im tiefblauen Wasser, von einem dunkelroten Band unterflattert: TOUR DU MONDE, daneben Palmen, leuchtende grüne Pailletten an den Blättern, überwölbt von einer Südsee-Sonne mit bunt spitzenden Strahlen.
Von den neuen Kleidern kamen alsbald viele, oft nicht ein einziges Mal getragen, mit in den geschlossenen Schrank. Die anderen, staubfarbenen, wärmten die Frau und halfen gegen ihre bitteren Schmerzen, die von der Kälte kamen. Und wenn sie nicht mehr sehr gut waren, hat sie die Kleider den Armen gegeben.
Von den zarten Kleidern in dem verschlossenen Schrank aber gab sie nie etwas weg, auch wenn sie schon sehr alt geworden waren. Sie waren auch noch schön wie am ersten Tag. Und immer wieder einmal schloss sie den Schrank auf und schaute sich die Kleider an.
Das luftige hellblaue Seidenkleid mit den hellgelben und rosa Rosen und weißen Pünktchen dazwischen, vorn weiß durchgeknöpft, nie getragen. Das dunkelblaue zweiteilige, viel zu groß gekauft, Cupro wie Seide, ein Kunstwerk, geschmückt mit gleichmäßigen Reihen zierlicher vielfarbiger, vielleicht barocker oder eher orientalischer Medaillons, die wie winzige Teppiche aus dem Dunkelblau leuchten.
Und ihre Augen erfreuten sich an den hellen und den bunten Farben und den seltenen Mustern, und über ihre Hände ließ sie den kühlen zarten Stoff rieseln.
Aber dann wieder die weiße weichfaserige Outdoor-Jacke, die immer so schnell staubschmutzig wird, aber so schnell gewaschen und wieder trocken ist. Die vielen praktischen Shirts für drunter, Farben gedeckt, angenehme Naturfasern, in mehreren Schichten zu tragen, katzenfreundlich.
Die schwingende Leinenjacke mit zarten Rosen, man denkt an eine Landedelfrau, das üppige hellbraune Baumwollkleid, mit beigen Spielkartenmotiven bedruckt, das dunkle mit den altmodischen Mille Fleurs, flirrend das weiß-grün-blaue aus Krinkelstoff, das dirndlartige rote aus Leinen, der lange blaue Rock, die dünnen Blusen alle.
An ihre feineren Kleider aus dem geschlossenen Schrank musste die Frau zuzeiten denken, wenn der wiederkehrende Traum sie überkam. Dann zog sie manche - in guter Zeit - doch einmal an - und gleich wieder aus. Die Frau betrauerte es, dass sie die Kleider noch nicht länger anbehalten konnte, denn sie sehnte sich schmerzlich danach, sie zu tragen. Aber erst, wenn die Zeit dafür gekommen wäre, in einer wärmeren Welt. Wenn sie keine Schmerzen mehr hätte, die von der Kälte der Welt kamen.
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Die Wolke
von Urte Skaliks
Ich bin jetzt nur noch eine Wolke, schwebend über der Mülldeponie, von allen vergessen, die selbst schon vergessen sind.
Aber unter mir bemerke ich Unruhe. Sie graben, heben aus, setzen ab, verfrachten Material, brüchiges, dreckiges Material. Bald auch mein früheres Material. Deponien werden heute geöffnet, denn man hat entdeckt, dass sie Werte enthalten, Werte wie mein früheres Material. Wiederverwertung, Recycling. Alte Klapperkiste, das war ich mal, zuletzt.
Weltreisen haben meine Vergessenen mit mir gemacht, an Italiens Küsten im Sonnenschein, auf bergigen Sträßchen, durch winzige Dörfer, ausgeraubt in staubigen Städtchen, rasant durch den Verkehr. Schnittig zu jener Zeit, vergessenes Design, damals millionenfach gebaut, aus Italien in die weite Welt geliefert und dahin zurück. Stolz besessen vom ersten, zweiten Eigentümer, bescheidener besessen noch vom vierten, fünften, noch liebevoll vom sechsten entrostet, vom Wasser im Fußraum befreit, dann doch schon Klapperkiste und abgeschafft für fünfzig Mark. Auf die Deponie mit allem Drum und Dran, gerade mal der Motor kam als Ersatz in einen Jüngeren hinein, so entging er mir. Wir andern aber sind noch hier, ich sehe uns, fühle uns, Elemente, wir werden in Stücken sortiert, in Stäuben gefiltert, zusammengeschüttet. Mit anderen werden wir verschmolzen werden, verteilt in die weite Welt in neue zukünftige Klapperkisten.
Was ich, die heile Wolke, dann machen werde? Wenn mein früheres Material in alle Welt verschwunden sein wird? Werde ich bleiben, was ich bin?
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Lampenschirme
von Urte Skaliks
Sie hat zum ersten Mal in ihrem Leben Bücher in den Papiercontainer geworfen, noch gute Bücher, aber doch nicht alle, die sie abgeben wollte. Papiermüll.
Sie hatte alte Bücher zur Sammelstelle bringen wollen, zum Weiterverkauf, für mildtätige Zwecke. Sie wollte sich verkleinern, wegbringen, was sie doch nicht noch einmal brauchen würde.
Was sie dort haben wollen – Schuhe, gut erhaltene Wäsche, Spielzeug, Kleidung, Büromaterial, Bücher zum Verkaufen. Kleidung, Wäsche – das findet sich leicht. Schon vorher hat sie aufgeatmet, wenn Platz wurde.
Aber von Büchern sich trennen? Aus dem Keller Reisebücher voller Bilder und Geschichten, vergessene Serien alter Science Fiction, Romane vom Grabbeltisch, geerbte Traktate und Comedy, unglaubliche wahre Geschichten – garantiert ohne Verfallsdatum. Aber auch das Weltall vor zwanzig, das Gehirn vor zehn Jahren, Jahrbücher, das wuchtige Lexikon – verfallen. Erstaunlich leichte Entscheidungen, erleichternd – weg damit! Bei den Büchern in der Wohnung wird es schwieriger werden – den Romanen und Biographien, der Lyrik, den Fallstudien, der Wissenschaft – das hat noch Zeit.
Kisten mit Büchern stehen bereit. Viele gebundene Bücher, viele Taschenbücher, meist ohne Makel, nur manche müsste man lüften. Kann man die noch abgeben? Einige vielleicht doch besser entsorgen? Aber: Bücher?
Die Frau in der Annahmestelle kommt skeptisch. Erstmal sehen, was ich verkaufen kann. Nur Neues. Am Ende nimmt sie fast gar nichts. Tut mir leid, müssen Sie verstehen, Älteres kann ich nicht verkaufen. Taschenbücher gar nicht. Das können Sie alles zum Bauhof bringen. Was machen die damit? Altpapier, die schreddern sie. Sie entfernt die Umschläge von mehreren Büchern, prüft die Einbände. Nimmt wenige. Dies ja, dies auch, dies nicht, nein. Die glänzend neuen Exemplare dieser unterhaltsamen, aus dem Französischen übersetzten Serie über diese unglaublichen wahren Ereignisse – warum nicht? Nimmt nur in Leinen gebundene. Warum? Wir haben da eine Frau, die macht Lampenschirme daraus.
(Erste Mails dazu:
1. Die Lampenschirm-Geschichte finde ich witzig. B.J./
2. "Lampenschirme" hat mich spontan an Lampenschirme anderer Art denken lassen, beim Lesen vergaß ich den Titel und dachte daran, wie ich in diesem Sommer erstmals einige Bücherstapel im Altpapier-container versenkt habe - und dann kam das völlig unerwartete Ende der Geschichte. Tatsächlich erlebt? M.F. - Re.: Ja, tatsächlich erlebt, und vielleicht haben auch Sie an dasselbe gedacht wie ich, was wohl nur noch die Älteren präsent haben - die Haut der Bücher, Bücher wie Menschen.)
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Seifenblasen, Stahl und Spinnennetze
(oder: Der Moment)
von Urte Skaliks
Jahrelang ist die leicht angeschmutzte Styroporbox von einem Platz zum andern geschoben worden. Im Heizungskeller, weil es da nicht feucht ist. Dreizehn Zentimeter mal dreiunddreißg und fünfzehn hoch, später nachgemessen. Dann hat sie auf einer alten weiß gestrichenen Holzkommode an der Wand gestanden. Jahrelang und beim Suchen nach dem Inhalt wochenlang unbeachtet bis zu jenem Moment, in dem der resigniert bestellte Ersatz für den vermissten Rasenkantenschneider eingetroffen war.
Eben nochmal nachsehen, ob das alte Gerät nicht doch vielleicht da zu finden ist, wo es ja doch sein muss. Wenn auch schon alles abgesucht ist. Denn du hättest doch das alte Gerät niemals einfach weggegeben oder verschrottet, kein Anlass dafür, kein Gedanke daran, es sollte doch immer wieder benutzt werden. Nochmal in den Keller. Und da siehst du es, da fällt es dir wie Schuppen von den Augen. Der lichte Moment. Natürlich, die alte Styroporbox hat da immer schon gestanden, hat keinen Ton gesagt. Wie konnte das bloß passieren, dass sie dir beim Suchen nie in den Blick gekommen ist?
So etwas kommt doch immer mal wieder vor, abergläubisch schon längst erwartet und kommentiert. Wenn du das Neue gekauft hast, findest du das Alte wieder. Es war nicht mal ein Chaos rundherum. Offen versteckt, so nennen sie es. Und dass das Gesuchte darin war, ist dir immer und ewig klar gewesen. Natürlich, hier steckte das alte Gerät, dessen Steuerungsstiel du neben der Heizung, ganz in der Nähe, schon lange wiedergefunden hattest. Aber du warst blind für das Sichtbare.
Wie schick verspielt das neue Gerät, bunt wie ein Spielzeug, trotzdem wird dringend Vorsicht angeraten, Verletzungsgefahr. Wie elegant das alte graue Gerät, Vorsicht verstand sich von selbst. Und was jetzt überhaupt? Das neue zurückschicken? Aber vielleicht funktioniert das alte gar nicht mehr? In der Box ist der Boden ein paar Zentimeter lang tief verschmort, oder ist es nur Öl? Eben jahrelang nicht benutzt. Der Stecker eines Kabels klebt am Styropor, geht aber ab, lässt sich reinigen und einstecken. Also einschalten. Wo am Ende der Fehler liegt, ist unklar. Ein Ersatzkabel funktioniert auch nicht. Auch nicht der Anschluss über den langen Stiel. Dann also ein Fehler im Gerät, vielleicht nicht nur einer. Wir hier sagen, es hat sich kaputtgestanden.
Das Teil ist natürlich aus dem Service. Man macht solche alten Geräte nicht mehr auf, obwohl dies hier sogar noch Schrauben hat. Es gibt ein Reparaturcafé, da versuchen sie, solche Apparate doch noch in Ordnung zu bringen. Da könntest du hingehen. Und gleich das rote Radio mitnehmen, bei dem die CDs nicht mehr laufen.
Zuletzt hatte das Gerät aber doch noch funktioniert, es hat immer funktioniert. Was ist jetzt los? Seit wann, wenn du es hättest benutzen wollen, hätte es überhaupt schon nicht mehr funktioniert? Wie lange hätte es noch funktioniert? Wann war der Moment, wann hat es aufgegeben, wann ist die Verbindung abgebrochen, wann ist das Fädchen, das Drähtchen, die unverzichtbare Brücke zerbrochen? Wenn denn etwas zerbrochen ist, wenn das Material ermüdet wäre, wie es heißt. Aber w a s heißt das denn - das Material ermüdet? Man sagt, manche Geräte würden so gebaut, dass sie kurz nach der Garantiezeit kaputtgehen müssen, aber das soll nicht wahr sein. Die Gerätebauer müssten wissen, was das Ermüden ausmacht. Es gibt doch sogar eine Glühbirne, die nie kaputtgeht. Stahl und Spinnennetze ermüden nicht so schnell wie eine Seifenblase. Materialforscher müsste man fragen, was das ist: Materialermüdung und: der Moment.
Oder ist innen drin nur ein winziges Kabel aus seiner Buchse gerutscht, das sich wieder einstecken ließe?
Ach so, ja, in dem dann selbst aufgeschraubten Gerät ist reichlich leerer Raum gewesen, dünne bunte Drähtchen, brüchige, manche lose, neben zwei weißen Akkus aus Mexiko, dick überzuckert von Krümeln weißlicher Säure. Alle hatten schon ihren eigenen „Moment“ gehabt. Man kann die Akkus noch nachkaufen, ein Fachmann muss sie einbauen.
Der kleine Motor in dem Kasten sieht ganz harmlos aus, ist er wohl heile?
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Das Bänksken
von Urte Skaliks
Da stehe ich nun hier im Sperrmüll. Abgestellt, am Ende. Ich erinnere mich. Eine Bank. Ich bestehe aus kleinen Teilen. Wir sind viele. Nicht mehr alle fest miteinander verbunden. Orangene Pilzchen quellen aus Ritzen. Schwärzliche Algen haben sich ausgebreitet. Sie bilden lange Streifen. Das dunklere Blau schaut durch. Meine älteste Farbe. Viel Hellblau ist noch da. Vier Bretter sind ab. Das Wetter hat mir zugesetzt. Ich bin nicht mehr schön. Sie mögen mich nicht mehr.
Beim letzten Anstrich war ich ansehnlich. Alles glänzte noch an mir. Frisch hellblau, fest. Die ganz alte Frau fand mich zu hell. Den Katzen war es egal. - Mein erster Anstrich war dunkler. Der Frau war ich zu dunkel. Ich kannte doch nur Grün, hundertfach Grün, vom harten dunklen über das mittelhelle bis zum Zartgrün der frischen Triebe. Dänisch blau wollte sie mich. Wie die Fensterrahmen. Die Katzen lagen meist auf der unteren Ebene. Ich gab ihnen Schatten.
Ich kam zu ihnen ganz neu. Meine Brettchen waren zart beige, fast weiß. Fichtenholz. Ich duftete nach frischem Holz. Das war das letzte Zeichen von Leben in mir. – In einer Serie entstand ich neben anderen gleichen Bänkchen. Als Brettchen aneinandergefügt. Vermischt aus vielen Bäumen. Von Stapeln zusammengesucht. – Aus Maschinen klapperten Brettchen. Mehrere Sorten. Immer gleich geformte duftende Brettchen. Vereinzelt.
Erinnerungen an früher, tief innerlich bewahrt. Denn was war das, früher, außer dem hundertfachen Grün? Der linde Duft aus den zerschnittenen Adern der lebendig geernteten Baumstämme umwehte lange die Stapel dieser kläglichen Fichtenbrettchen. Die entasteten Bäume schrien zum letztenmal, als Menschen sie unter den reißenden Stahl der Maschinen schoben. Zuvor fielen sie, fielen wir, schwankten, ächzten. Zuvor noch haben wir geschrien bei Kälte, bei Hitze, bei Sturm, den wir kannten, an dem wir gewachsen waren von Jugend auf, der uns stärkte, uns beugte, der einige zerbrach. Zuvor spürten wir unsere Kraft, unser Stehen, unser Schwingen, unser Singen, unsere durchpulsten Adern, unsere nagenden Feinde, unser Werden und Wachsen. Zuvor aber spürten wir unser erstes Erwachen aus dem schlafenden Samenkorn.
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Lesung von U. Skaliks am 27.10.2016 in der Buchhandlung Pegasus in Verl aus
„Luftfiguren, Gedichte und Miniaturen“ (2015), „Leichte Gedichte“ (2014), „Himbeerbonbon“, Erzählungen (2013) und „Der Lächler und andere Verdächtige“, Kurze Geschichten (2011)
mit Musik: es spielt: Karoline Bauch, Cello
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Zur Lesung aus
„Luftfiguren“
am 14. September 2016: Poesie im Weberhaus - Link zu Facebook